Seit einigen Jahren offeriert ein „Verein für vererbte Rudelstellungen e.V.“ Dienste zur Hunde-Einschätzung und -Haltung nach der „Karl-Werner-Rudelstellungslehre“. Auch das ZDF rührte zur Förderung seiner „Hundeflüsterin“-Serie 2014 kräftig die Werbetrommel für die Rudelstellungslehre. Zeitweilig erhielt der Verein durch die ZDF-Werbung großen Zulauf. Er bot eine verblüffend einfache Erklärung für alle Hundeprobleme und gewann so Tausende von Kunden und Anhängern, die ihre Hunde fortan „in Rudelstellung“ hielten. Andere fragten sich: Ist da etwas dran? Können Hunde wirklich angeborene Rudelstellungen haben? Und wurden diese, wie das ZDF eine Zeitlang auf seiner Website behauptete, von einer „Adels-Rudelzüchter-Familie Werner“ entdeckt?
Die hat es, wie sich herausstellte, nie gegeben. Laut Wikipedia ist die Rudelstellungslehre eine 2010 erfundene „Pseudowissenschaft mit kommerziellem Hintergrund“ – also Scharlatanerie. Allerdings keine harmlose, denn Videos einiger Anhängerinnen, die im Netz kursieren, zeigen Misshandlungen und massive Verhaltensstörungen ihrer Hunde. Etliche bissen sich in ihren Zwingern gegenseitig tot. Andere, die sich nicht ihrer Rudelstellung gemäß verhielten, wurden mit Begründungen wie „aggressiv“, „Hirnschaden“ oder „Gendefekt“ eingeschläfert. Der Verein steht seitdem auf der Beobachtungsliste von Behörden und Tierschutzorganisationen.
Dabei klingt die Grundidee zumindest originell: Bei Hunden gibt es sieben Kasten, vom Verein als „Rudelstellungen“ bezeichnet. Jeder Hund wird in seiner Kaste geboren und bleibt lebenslang darin. Nur sie, nicht Rasse oder Umwelt, ist maßgeblich für sein ganzes Wesen. Wie in menschlichen Kastengesellschaften gibt es Parias, die „Bindehunde“, mit denen man möglichst nicht interagieren soll. Für Menschenkontakt seien nur die „Leithunde“ zuständig. Glücklicherweise stellen sich Einzelhunde zahlungskräftiger Kunden fast immer als „Leithund“ heraus.
Jeder Interessent muss zunächst die Kaste seines Hundes auf einem nicht ganz billigen „Workshop“ feststellen lassen. Denn für normale Menschen seien die angeborenen Rudelstellungen nicht sichtbar. Allein die Erfinderin der Lehre, Barbara Ertel, besitzt die Fähigkeit, die Rudelstellung eines Hundes zu erkennen. Dadurch erzielte sie über eine Scheinfirma des Vereins hohe Einnahmen mit „Workshops“ und allerlei ähnlichen Angeboten.
Die Lehre der vererbten Rudelstellung (kurz RS) mit ihrer Führerin und ihrer eifernden Gefolgschaft steht nicht allein. Sektenartige Gruppen mit kommerziellem Hintergrund haben sich in manchen Bereichen etabliert, von Esoterik und Religion über Gesundheit und Lebenshilfe bis hin zur Vorhersage von Börsenkursen. Der gemeinsame Glaube an eine Lehre oder ein Wundermittel gibt Anhängern Rückhalt und Bestätigung, manchen ihren Lebensinhalt. Entsprechend fanatisch werden solche Lehren verteidigt.
Wir möchten auf diesem Blog die Rudelstellungslehre, ihr Geschäftsmodell und ihren Wahrheitsgehalt unter die Lupe nehmen. Also haben wir unter anderem
- den Ursprung der RS-Lehre aufgespürt,
- die Folgen für die Hunde untersucht,
- der angeblichen „RS-Forschung“ nachgeforscht,
- und den Weg des Geldes nachverfolgt.
Führende Experten – Kanidenforscher, Zoologen, Verhaltensbiologen und Genetiker, Tierschützer, Züchter, Hundetrainer und Meuteführer – wurden in Interviews zu vermeintlichen und tatsächlichen Rudelstellungen befragt. Die in Hunde- und Wolfsverbänden real beobachteten Strukturen sind in Fachartikeln erläutert. In Erfahrungsberichten schildern Hundehalter, die sich – zumindest vorübergehend – auf die Rudelstellungslehre eingelassen haben, ihre teils bizarren Erlebnisse. Einen Überblick finden Sie unter Fragen und Antworten.
Nachtrag (November 2017). Mittlerweile ist RS Vergangenheit. Die Geldquelle ist versiegt, der Verein pleite, seine Hunde weggenommen, seine Scheinfirma liquidiert, die Anhängerschaft weitgehend verschwunden, und sogar das ZDF hat alle Spuren seiner peinlichen RS-Werbung im Webauftritt gelöscht. Nur noch etwa 20 Anhängerinnen rudeln unbeirrt weiter. Dennoch wollen wir diese Website online lassen. Sie bietet nicht nur Einblicke in Entstehung, Verbreitung und Kommerzialisierung eines esoterischen Narrativs, sondern auch lesenswerte Fachartikel zum Gruppenverhalten von Hunden und Wölfen. Sie illustriert auch, wie leicht manche Menschen dazu gebracht werden, einer selbsternannten Führerin zu folgen und nicht existente Dinge zu ’sehen‘.
Die geäußerten Ansichten auf diesem Blog sind stets die des jeweiligen Autors oder Interviewpartners, also nicht „unparteiisch“. Wir bemühen uns aber um Fairness und achten darauf, dass alle hier in Artikeln veröffentlichten Informationen nachvollziehbar und belegbar sind. Alle Quellen, soweit nicht sowieso aus dem Zusammenhang ersichtlich, sind am Ende des Artikels aufgeführt. Alle Kommentare geben nur die Meinungen ihrer Verfasser wieder.
Für Fragen, Anregungen, oder zur Übernahme von Artikeln können Sie uns unter info@rudelstellungen-klargestellt.de kontaktieren.